Geschichte: Al-Andalus

Die Eroberung Spaniens:
Die Geschichte von Julianus, Musa und Tariq

Im Jahre 710 bestieg in der westgotischen Provinzhauptstadt Toledo König Roderich den Thron. Zu der Zeit war es Sitte, daß alle Fürsten Spaniens ihre Kinder im Jugendalter nach Toledo sandten. Dort erhielten sie eine Ausbildung am Hof, traten in den Dienst des Königs und wurden, sobald sie erwachsen waren, mit einer Aussteuer ausgestattet. Auch Julianus, der Gouverneur des südlichsten Landesteils um Algeciras und Ceuta beugte sich dieser Pflicht und schickte seine Tochter nach Toledo. Doch der König fand besonderes Gefallen an ihr und tat ihr Gewalt an. Als seine Tochter Julianus von der Vergewaltigung berchtete, verfiel er in Zorn und sann nach Vergeltung.

Auf der Suche nach Hilfe für seine Rache gegenüber Roderich nahm er Kontakt mit seinem Nachbarn jenseits der Straße von Gibraltar auf, wo der arabische Gouverneur Musa ibn Nusayr über die Provinz Ifriqiya herrschte. Julianus versprach, sein Land Musas Herrschaft zu unterstellen, falls ihm dieser bei einem Angriff gegen die Spanier helfen würde. Musa war einverstanden. Julianus übergab ihm sein Land und gab ihm Karten mit, um einen Überfall auf Spanien zu unternehmen. Musa führte diesen Überfall durch und meldete seine Erfolge dem Kalifen al-Walid ibn Abd al-Malik nach Damaskus. Dieser war erfreut, stand weiteren Feldzügen aber skeptisch gegenüber. Erst als Musa ihn überzeugte, daß es sich bei der Meerenge von Gibraltar nur um einen schmalen Kanal und kein furchterregendes Meer handelte, gab ihm der Kalif die Erlaubnis, mit 400 Soldaten und 100 Reitern nach Spanien überzusetzen. Ein Berberoffizier, Tarif ibn Malluk, nach dem die heutige Stadt Tarifa benannt ist, wurde mit dem Unternehmen betraut und machte reiche Beute. Von diesem Erfolg beflügelt und von Julianus weiterhin mit Informationen versorgt, nahm Musa eine weitere Invasion in Angriff. Das Kommando hatte diesmal ein Mann namens Tariq ibn Ziyad, der es vom Freigelassenen (Mawla) bis zum Statthalter von Tanger gebracht hatte. Tariq führte seinen Feldzug sehr erfolgreich. Er nahm mehrere Küstenstädte ein und errichtete eine Festung bei der Grünen Insel (al-Gazira al-Khadra, heute Algeciras), die dem verbündeten Julianus anvertraut wurde. Seine Vorstöße zwangen den König, sich Tariq mit einem großen Heer entgegenzustellen. Doch Roderich wurde von seinen Bischöfen verraten und starb in der Schlacht. Die Araber erreichten im Jahre 711 Sevilla und Córdoba. Die Bevölkerung, die jahrelang unter einem strengen Feudalsystem gelitten hatte, und besonders die unterdrückten Juden, übergaben sich freiwillig den Arabern.

Tariq (der Name Gibraltar, Djebel al-Tariq, leitet sich übrigens von ihm ab), der bisher eng mit Julianus zusammengearbeitet hatte, dehnte nun seine Eroberungen auf eigene Faust aus. Er drang bis Granada, Málaga und Guadalajara vor und eroberte weite Teile Spaniens. Als er die Hauptstadt Toledo erreichte, waren die Bewohner bereits geflohen. Tariq übergab die verlassene Stadt den Juden.

Musa sah indessen mit Argwohn die ständigen Erfolge seines Feldherrn, der noch dazu ein Freigelassener war. Er beschloß, seinerseits in Spanien aktiv zu werden, setzte mit einem starken Araberheer über und brachte den Teil des Landes, den Tariq noch nicht erobert hatte, von Medina-Sidonia, Carmona, Alcalà bis nach Merida unter seine Gewalt. Schließlich unterwarfen Tariq und Musa im Jahre 714 gemeinsam Zaragoza. Sie schickten Boten nach Damaskus. Beide wurden vom Kalifen nach Syrien berufen und verließen Spanien.

Mit der Führung der neuen Provinz wurde ein gewisser Abd al-Aziz betraut. Es wird berichtet, daß Roderichs Witwe Ailo zum Islam übertrat und ihn unter dem Namen Umm Asim heiratete.

Abd al-Aziz war keine lange Regierungszeit vergönnt. Er starb nach zwei Jahren im Amt durch die Hand syrischer Mörder. Der Kalif unterstellte den Gouverneuren von Al-Andalus zu große Eigenständigkeit und wechselte auch seine Nachfolger alle nach kurzer Zeit aus. Unter diesen Bedingungen konnte keine stabile Lage entstehen. Zusätzliche Spannungen kamen daher, daß nun neben eingeborenen Juden du Christen zahlreiche Araber unterschiedlicher Stämme und vor allem eine große Zahl Berbersoldaten im Land waren, die stets miteinander im Streit lagen. Zudem war im christlichen Rest Spaniens, im Norden, bereits der Gedanke der Rückeroberung geweckt und es gab ersten Widerstand im Namen dieser ?Reconquista?.

So endet die Epoche der Eroberung Spaniens mit der Unterwerfung als geeinte arabische Provinz al-Andalus, jedoch noch voller innerer Zwistigkeiten.